Die Geschichte des Dorfes Fardella...

“Fardella ist eines der schönsten Städtchen des Lagonegrese“, hieß es 1912 in New York. Etwas mehr als hundert Jahre später bietet Fardella noch immer seinen Besuchern zum Pollino emporlaufende Hügel, fruchtbare Felder, schattenspendende Wälder, tausende verborgene eiskalte Quellen, altherkömmlich Düfte und Genusserlebnisse, Gassen, Portale, kurzum, sein ganzes Gebiet.

Das Gebiet von Fardella ist vielfältig und überrascht stets von Neuem, es ist ein „Rückgrat“ zwischen den Tälern der Flüsse Sinni und Serrapotamo. Hier finden wir Wege inmitten unberührter Wälder, die sich auf den Hügeln der Serre und der Manche hindurchschlängeln, hier gibt es das Belvedere der Serra Cerrosa, ein Naturtheater, dessen Ränge auf natürliche Weise bis zum Sinni absteigen und hinauf bis zu den Gipfeln des Pollino blicken, und die Serpentinen „Gironi di Episcopia“, den Park Barbattavio, der heute nach Dr. Angelo Guarino mit seinen Sportanlagen benannt ist. Es ist eine Ortschaft mit einem Geflecht aus engen Gassen und Treppen, die sich von der Mutterkirche S. Antonio di Padova zu den Palazzi der Gutsherren von einst, den Villen aus dem 20. Jh. und den typischen Bauernhäusern erstrecken.

Fardella ist ein Gebiet der Eremiten und Heiligen: vom Eremiten S. Onofrio bis zum Seligen Giovanni da Caramola. Es ist das Land der religiösen Traditionen, Ausdruck eines Volkes, das stets den Glauben hoch hielt; das Land der Einwanderer zuerst und dann der Auswanderer, von Frauen, Männern und ganzen Familien, die in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft ihr Land verließen; ein Ort der Landwirtschaft und der Gaumenfreuden, der typischen Produkte und authentischen Gerichte, die von einem guten lokalen Rotwein und wertvollen Gewürzen begleitet werden.
Es ist auch der Ort der „Raskatielli“, deren Teig aus Mehl von Hülsenfrüchten jeden Gaumen in Verzücken versetzt. Einst waren sie ein Armeleuteessen, heute sind sie die Protagonisten des berühmten Dorffestes, das alljährlich am 18. August stattfindet. Ein Ort der Gastfreundschaft und der Ruhe, in dem die Moderne den Flair von einst noch nicht verdrängt hat.

Das kleine, auf etwa 720 Meter Höhe sanft auf den Abhängen der Hügellandschaft liegende und von der Natur umgebene Dorf befindet sich im Nationalpark Pollino, einem der größten Schutzgebiete Italiens zwischen Basilikata und Kalabrien.

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Fardella ist ein junger Ort, weniger als 300 Jahre alt, und doch gibt es in der Gegend Zeichen dafür, dass dort schon vor viel längerer Zeit Menschen lebten. So wurde die frühe Besiedlung des Landstrichs von einem Fund in der Contrada Cozzocanino belegt: Man entdeckte einen Teil einer Nekropole aus dem 6. Jh. v. Chr., die den berühmten Begräbnisstätten von Enotria im nahen Chiaromonte sehr ähnelt.

Ein weiteres in historisch-archäologischer Hinsicht interessantes Gebiet ist „Castrovetere“. Wie schon der im Namen enthaltende Begriff castrum (Burg) zeigt, war dies wohl ein strategischer, befestigter Ort, der als Wachposten am Zusammenfluss des Sturzbaches Cotura mit dem Fluss Sinni lag. In dieser Gegend wurden in der Vergangenheit immer wieder Münzen und Waffen gefunden.

Auch eine Legende, die heute noch von den Älteren erzählt wird, belegt die Hypothese. Sie besagt, dass auf diesem Hügel einst ein Dorf lag, das dann aufgegeben wurde, weil es „von Ameisen heimgesucht worden war“.

Einigen Historikern zufolge kann die Gründung von Fardella auf die Zeit zwischen 1690 und 1693 datiert werden. Am 5. Oktober 1690 flohen einige Einwohner von Teana vor den Schikanen des Marchese Missanello und stellten sich unter den Schutz des Grafen Carlo Maria Sanseverino, der im Streit mit dem Marchese stand und ihnen erlaubte, auf seinem Besitz bei Chiaromonte, westlich von Carrosa, eine Siedlung zu bauen. Diese Angabe wird von der mündlichen Überlieferung bestätigt, nach der - etwas verwirrend - der Ort einmal seinen Namen von den Bündeln („fardelli“), welche die Fliehenden mit sich nahmen, und ein anderes Mal von einer Frau aus Teana namens Fardella erhielt, die als frisch Vermählte dem Marchese das ius primae noctis verweigert haben soll.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch Siedler aus Chiaromonte einen Anteil an ihrer Entstehung hatten. Sie mussten von der Notwendigkeit getrieben in das weitläufige Gebiet von Chiaromonte, weit weg von der Siedlung ziehen und errichteten somit überall verstreut Strohhütten und auch Häuser, um stets in der Nähe ihres Arbeitsortes zu sein.

Alle sind sich einig, dass man als Namen für die neue Siedlung den von Anna Cecilia Catherina Serafina Maria Fardella, Prinzessin von Paceco und Marchesa di San Lorenzo wählte, die Carlo Maria Sanseverino 1665 in Neapel geheiratet hatte.

 

"Anna Cecilia Catherina Serafina Maria Fardella"

 

In diesem Zusammenhang wurden jedoch andere Hypothesen formuliert: Racioppi ließ ihn vom lateinischen Wort falda ableiten, indem er den Ortsnamen mit der falda dominica verband: ein Zaun des Herrn, ohne jedoch auszuschließen, dass der Name von der aus Trapani kommenden Adelsfamilie stammen könnte. Nach dem Gelehrten Gattini greift die Ortschaft den Namen der gleichnamigen germanischen Familie auf, die mit den Hohenstaufen nach Italien gelangte. Die Annahme von Cappelli, Fardella könnte man vom langobardischen Wort fara, also dem Begriff für größere Familiengruppen dieses Volkes und auf ihre in Besitz genommenen Gebiete ableiten, scheint wohl nicht zuzutreffen. Denn man findet eine solche Ortsbezeichnung in keinem der mittelalterlichen Dokumente.

Und auch die Hypothese, man könne die Ortschaft mit der heute verschwundenen Burg Faracli identifizieren, die den Quellen nach in „Le Calanche“ gelegen haben soll und deren Name zu Ehren der Edeldame aus Trapani von Faracli in Fardella umgewandelt wurde, ist nicht akzeptabel.

Die Ortschaft wird erstmals 1701 in einem offiziellen Dokument erwähnt und wird 1703 eine Pfarrei.

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Die Geschichte von Fardella ist ab dem 18. Jh. nach den wenigen Dokumenten, die zur Verfügung stehen, eine Geschichte von bedeutenden Männern auf der einen und Bauern auf der anderen Seite. Erstere gehörten dem lokalen Adel an, der aus reichen Grundbesitzerfamilien bestand, seit mehr als einer Generation mit einem Familienmitglied, das ein abgeschlossenes Studium der Jurisprudenz oder der Theologie hatte. Neben diesen „Adelsfamilien“, zu denen die Doktoren und die Kanoniker gehörten, gab es die Familien der „Ehrenmänner“, d.h. der Ärzte, der Notare, der Priester ohne Theologiestudium und der Grundbesitzer, die ihre Besitztümer nicht direkt verwalteten. Es folgten die „bürgerlichen“ Familien, bzw. die der Handwerksmeister, der Ladenbesitzer und der Kaufleute.

Ebenfalls distinguiert waren auch die Familien der mittleren und kleinen Grundbesitzer, der reichen Gutsverwalter, der Handwerker ohne eigene Werkstatt und der Freiherren. Zuletzt kamen all jene, die das Land bestellten: Bauern, Feldarbeiter und Tagelöhner.

Die großen politischen Ereignisse, die das Leben in Italien bestimmten, widerspiegelten sich auch in Fardella. So förderten 1799 einige Einwohner die Gründung einer Republikanischen Gemeindevertretung, die im Zuge der Wiedereinsetzung der Bourbonen abgeschafft worden war. 1808 wurde Fardella zur Gemeinde und ein Jahr später ein autonomes Verwaltungs- und Gemeindegebiet. 1819 zählte die Gemeinde 1004 Einwohner.

Die politischen Kämpfe gingen mit den antifranzösischen Aufständen von 1806 weiter und fanden in der schrecklichen Unterdrückung ihren Abschluss, im Zuge welcher zahlreiche Bewohner von Fardella durch Erschießen hingerichtet wurden.

Im Jahr 1848 erwachten die Ideale der Freiheit und Gleichheit mit den antibourbonischen Aufständen von Neuem, bei denen sich verschiedene Bürger am politischen Kampf beteiligten und dafür mit dem Kerker bestraft wurden. Während dieser Konflikte trat vor allem Giovanni Costanza in den Mittelpunkt, der im August 1860 die Aufständischen von Fardella anführte. Sie schlossen sich der 6. Kolonne der lukanischen Aufständischen an, die von Aquilante Persiani aus Senise angeführt wurden. Später trat er der Brigata Basilicata im Gefolge von Garibaldi auf dem Volturno bei.

Die Einheit Italiens löste die Probleme der Region nicht, denn die langjährige Streitfrage um die Verteilung der Grundstücke an die Bauern wurde nicht behoben. So entstand aufgrund der enttäuschten Erwartungen eine wahre Oppositionsbewegung. Die Landbevölkerung distanzierte sich vom Staat, und es kam zu einer Bauernguerrilla (die Verfügungen zum Staatsbesitz von 1862-63 provozierten auch in Fardella Bauernaufstände) und zum Brigantentum, das viele Dörfer Lukaniens betraf. Viele Banden terrorisierten die Gegend, darunter die des Briganten Alessandro Marino di Castronuovo S.A. und die von Scaliero di Latronico, die entwaffnet wurden. Zum Brigantentum gehörten auch der Waldhüter von Fardella, Paolo Cirone, und Giuseppe Mazziotta, der bezichtigt wurde, auf der Seite der Bourbonen zu stehen und das neue Reich zu bekämpfen.

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Doch nicht nur das politische, sondern auch das wirtschaftliche und soziale Leben des Ortes muss recht lebhaft gewesen sein: Im Jahrhundert der Aufklärung waren, wie aus der 1811 von Gioacchino Murat angeordneten Statistik des Königreichs von Neapel hervorgeht, die Holzverarbeitung (vor allem Fichtenholz), die Leinenweberei, die dank des „fliegenden Weberschiffchens, auch Schütze genannt“ äußerst hochwertig war, und die Seidenproduktion, in der während der Verpuppungszeit der Seidenraupen bis zu 600 Frauen beschäftigt waren, von überragend großer wirtschaftlicher Bedeutung.

Ende des 18. Jh.s gab es bereits die Einrichtung des Naturalien-Kreditinstituts namens „Monte Frumentario S. Antonio da Padova“, welche sich anschließend 1865 in die Agrarbank „Cassa di Prestanza Agraria“ verwandelte.

Ein 1882 gegründeter, der Arbeiterwohlfahrt ähnlicher Verein mit dem Namen „Il Risveglio“ unterstützte die Bevölkerung und die Landwirtschaft durch die Verteilung von Schwefel, Kupfer und anderem, das zum Wein- und Ackerbau benötigt wurde. Ein anderer Wohltätigkeitsverein, die „Congregazione di Carità“, kümmerte sich hauptsächlich um den Unterhalt der Kinder. Diese und weitere landwirtschaftliche Ressourcen machten Fardella zu einem Ort, der Zuwanderer anzog. Aus den Registern geht hervor, dass ganze Familien aus der Umgebung beschlossen, sich hier in der Hoffnung auf ein besseres Leben niederzulassen; im Jahre 1845 zählte man 1428 Einwohner.

Die Landwirtschaft, zu der sich Fardella seit seinem Entstehen berufen fühlte, entwickelte sich immer stärker, und es gab in der ganzen Gegend immer mehr Gutshöfe mit dazugehörigen Bauernhäusern. Der bedeutendste Gutshof war wohl der in der Contrada Sant’Onofrio, im Besitz der Familie Giura aus Chiaromonte und später der Familie Costanza.

 

Dank einer wichtigen Straßenverbindung, der Sapri-Ionio, die bereits Mitte des 19. Jh.s als Regia Borbonica bekannt war, entwickelte sich die Ortschaft dann endgültig weiter: Das erste Auto befuhr sie am 5. September 1907.

"Das historische Luftbild der Gemeinde Fardella"

Zu Beginn des 20. Jh.s suchte die Wirtschaftskrise auch Fardella heim, so dass es zu einer großen Auswanderungswelle vor allem nach Amerika kam: 1911 sank die Bevölkerung auf 1020 Einwohner.

Zu dem ohnehin schon großen Problem der Auswanderung gesellten sich die Schwierigkeiten durch die beiden Weltkriege hinzu. Dies waren harte Zeiten, denn auch wenn der Ort den Krieg nicht direkt erlebte, wurden die ohnehin schon schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse noch komplizierter. Diese Situation widerspiegelt sich in einigen im Dialekt vorgebrachten Aussprüchen gegen Mussolini, an die sich die Alten noch erinnern, wie z.B. „Duce, wohin hast du uns gebracht, tagsüber ohne Brot und nachts ohne Licht!“

1928, also mitten im Faschismus, wurde Fardella aus Kostengründen zusammen mit Teana der Gemeinde Chiaromonte angegliedert. Doch in der Bevölkerung gab es auch viele Anhänger der faschistischen Partei, und so gab es auch in Fardella die faschistischen Kampfbünde der Schwarzhemden und die Jugendbewegung Balilla.

Erst in der Nachkriegszeit erhielt der Ort seine Autonomie wieder, und zwar im Jahr 1947. Die Geschichte der Nachkriegszeit ist auch für Fardella eine Geschichte des Wiederaufbaus und nochmals der Emigration, eine Geschichte schrecklicher Ereignisse wie das Erdbeben von 1980, das das ursprüngliche Aussehen des Ortes zutiefst verändert hat. Die Geschichte ist noch lebendig in den Augen dieses Volkes, das über drei Jahrhunderte lang Generation für Generation die Liebe zu diesen herrlichen Orten und den Stolz auf dieses Dorf behielt, das 1912 einige Emigranten so beschrieben: „geliebte Heimat, die einer der schönsten Orte der Gegend von Lagonegro ist“.